Freitag, 10. Juli 2015

Landgericht Berlin verurteilt rechtsmissbräuchlich handelnde Abmahnerin zur Zahlung nach negativer Feststellungsklage



Landgericht Berlin
lm Namen des Volkes
Urteil


Geschäftsnummer: 103 O 132/14
verkündet am: 02.06.2015


In dem Rechtsstreit

der …
Klägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte von der Heyden, Brandenburgische Straße 24, 10707 Berlin,

gegen


Prozessbevollmächtigte:
Beklagte,

hat die Kammer für Handelssachen 103 des Landgerichts Berlin in Berlin - Mitte, Littenstraße 12 - 17, 10179 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 02.06.2015 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Dieckmann, die Handelsrichterin Diers und den Handelsrichter Zybell

für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 147,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.01.2015 zu zahlen. 
  2. lm Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
  3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
  4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand
Die Klägerin bietet über das Internet Kunst- und Designartikel aus den 50er bis 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts an, darunter Kaufmannsläden und Puppenstuben, aber auch andere Spielwaren. Die Beklagte betreibt unter www.h.........de ebenfalls einen Onlineshop für Spielwaren.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 20.11.2014 mahnte die Beklagte die Klägerin wegen Verwendung einer Widerrufsbelehrung ab, die einen Widerruf durch Rücksendung der Sache vorsah, entsprechend der bis zum 12.6.2014 geltenden Rechtslage. Die Beklagte setzte eine Frist zur Abgabe einer Unterlassungserklärung bis zum 27.11.2014 und wies darauf hin, dass die Wiederholungsgefahr "nur durch Abgabe der anliegend übersandten strafbewehrten Unterlassungserklärung beseitigt werden kann". In dieser Unterlassungserklärung sollte sich die Klägerin verpflichten, es bei Meidung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.100 € für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr gegenüber Verbrauchern im Rahmen ihres eBay-Shops (...) in der Widerrufsbelehrung zu erklären, dass Verbraucher ihre Vertragserklärung auch durch Rücksendung der Ware widerrufen können. Weiter sollte sie sich verpflichten, der Beklagten die für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts entstandenen Kosten auf Grundlage eines Gegenstandswertes von 1.000 € in Höhe einer 1,3 Gebühr (Nr. 2300 VV RVG) in Höhe von 104 € zuzüglich Pauschale für Post und Telekommunikation in Höhe von 20 € sowie 19 % Mehrwertsteuer in Höhe von 23,56 €, mithin 147,56 € zu erstatten.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26.11.2014 wies die Klägerin die Abmahnung zurück, weil sie rechtsmissbräuchlich und unbegründet sei, und forderte die Beklagte unter Fristsetzung auf, die Abmahnung zurückzunehmen und zu erklären, dass sie auch künftig nicht wegen des abgemahnten Verhaltens gegen die Klägerin vorgehen werde. Ferner forderte die Klägerin die Erstattung der durch die Inanspruchnahme ihrer Rechtsanwälte entstandenen Kosten in Höhe von 147,56 €.

Die Klägerin trägt vor: Die Abmahnung vom 20.11.2014 sei rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte mache mit ihrem Geschäft kaum Umsatz, sondern erziele Einnahmen daraus, dass sie vermeintliche Konkurrenten wegen vermeintlicher Verstöße gegen die neuen Vorschriften über die Widerrufsbelehrung massenhaft abmahne. So habe die Beklagte, was unstreitig ist, die ersten Abmahnungen bereits zwölf Tage nach Inkrafttreten der Neuregelung ausgesprochen.

Weitere Umstände belegten den Rechtsmissbrauch. So sei der Prozessbevollmächtigte der Beklagten ein persönlicher Bekannter des Ehemannes der Beklagten. - Der Hinweis, dass die Wiederholungsgefahr nur durch Unterzeichnung der beigefügten Unterlassungserklärung beseitigt werden könne, sei so zu verstehen, dass ein Vertragsstrafenversprechen nach Hamburger Brauch nicht akzeptiert werde. — Die Fristen zur Abgabe der Unterlassungserklärung und Erstattung der Abmahnkosten seien gleich laufend gesetzt, eine Fristverlängerung von vornherein ausgeschlossen worden. - Die Vertragsstrafe von 5.100 € sei angesichts des Gegenstandswertes von 1.000 € überhöht. — Es werde Erstattung der Mehrwertsteuer gefordert, obwohl die Beklagte vorsteuerabzugsberechtigt sein dürfte. Sei sie dies als Kleinunternehmerin jedoch nicht, stehe die Abmahntätigkeit in keinem Verhältnis zu ihrem Umsatz. — Es sei davon auszugehen, dass der Prozessbevollmächtigte die Beklagte von den Kosten freistelle.

Die Abmahnung sei auch unbegründet. Es sei zulässig, mit den Kunden zu vereinbaren, dass der Widerruf auch durch Rücksendung der Ware erklärt werden könne.

Da die Abmahnung rechtsmissbräuchlich erfolgt sei, sei die Beklagte zum Ersatz der durch die Gegenabmahnung entstandenen Anwaltskosten verpflichtet.

Die Klägerin hat negative Feststellungsklage erhoben, mit der sie festgestellt haben wollte, dass der Beklagten kein Unterlassungsanspruch entsprechend der Abmahnung vom 20.11.2014 zustehe, die Abmahnung unwirksam sei und eine Kostenerstattungspflicht nicht ausgelöst habe. Im Hinblick auf die inzwischen eingetretene Verjährung etwaiger Ansprüche der Beklagten haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.


Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 147,56 € nebst Zinsen in Hiihe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.12.2014 zu zahlen.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Sie trägt vor: Die Abmahnung sei berechtigt gewesen. Selbst wenn Vereinbarungen über einen Widerruf durch Rücksendung zulässig seien, könne dies nicht im Rahmen der Widerrufsbelehrung erfolgen, sondern nur durch Allgemeine Geschäftsbedingungen.

Rechtsmissbrauch liege nicht vor. Der Vortrag der Klägerin sei überwiegend unzutreffend, so zum Punkt der Fristsetzung für Unterlassungserklärung und Kostenerstattung. Es sei der Klägerin unbenommen gewesen, eine Unterlassungserklärung nach Hamburger Brauch abzugeben. Die Vertragsstrafe halte sich im Bereich des Normalen. Dass sie sich aus wirtschaftlichen Gründen entschlossen habe, ihre Ansprüche gegen die Klägerin nicht gerichtlich durchzusetzen, spreche nicht für Rechtsmissbrauch.
 
lm Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte erklärt, dass sie bisher 25 Abmahnungen ausgesprochen habe.

Wegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf den Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
Die Klage ist bis auf einen Teil des Zinsanspruchs begründet. Der Klägerin steht gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 UWG ein Anspruch auf Ersatz der Kosten zu, die durch das Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26.11.2014 entstanden sind.

Die Abmahnung vom 20.11.2014 war rechtsmissbräuchlich. Rechtsmissbrauch liegt insbesondere dann vor, wenn die Geltendmachung von Ansprüchen vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Dafür sprechen hier mehrere Umstände, die in der Zusammenschau dazu führen, das Vorgehen der Beklagten als unzulässig anzusehen.

Dies ist zum einen die Formulierung in der Abmahnung, dass die Wiederholungsgefahr nur durch Abgabe der anliegend übersandten strafbewehrten Unterlassungserklärung beseitigt werden kann. Damit vermittelte die Beklagte den Eindruck, dass sie jede Änderung der Unterlassungserklärung nicht akzeptieren werde, insbesondere also keine Unterlassungserklärung nach Hamburger Brauch. Weiter wird aber auch der Eindruck erweckt, dass die Beseitigung der Wiederholungsgefahr abhängig von der Verpflichtung zur Kostenerstattung ist, was unzutreffend ist, denn diese Verpflichtung ist keineswegs Voraussetzung für eine ernsthafte Unterlassungserklärung.

Bedenken begegnet auch die von der Beklagten vorgegebene Höhe der Vertragsstrafe. Zwar ist eine Vertragsstrafe von 5.100 € im Wettbewerbsrecht durchaus üblich. Die Vertragsstrafe muss jedoch in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere eines etwaigen Verstoßes stehen. Wie schwerwiegend eine weitere Verletzung vom Gläubiger, hier der Beklagten, eingeschätzt wird, kann ohne weiteres anhand des angesetzten Gegenstandswertes beurteilt werden. Diesen hat die Beklagte mit 1.000 € angegeben. Das ist ein Wert im untersten Bereich und für Wettbewerbsverstöße äußerst ungewöhnlich. Jedenfalls gibt die Beklagte damit zu erkennen, dass sie die Einräumung eines Widerrufsrechts, das durch Rücksendung der Sache ausgeübt werden kann, als Bagatellfall einstuft. Für eine Bagatelle ist aber eine Vertragsstrafe von 5.100 € weit überhöht.

Denkbar ist allerdings auch, dass die Beklagte (bzw. ihr Prozessbevollmächtigter) den Gegenstandswert bewusst zu niedrig angesetzt hat in der Hoffnung, der Abgemahnte werde sich wegen der relativ geringen Höhe der Forderung von unter 150 € nicht streiten wollen und lieber zahlen, um die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen. Dies wäre dann allerdings ein Gesichtspunkt, der erst recht zur Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens führen müsste.

Vor allem aber spricht die Anzahl der Abmahnungen und das im vorliegenden Fall gezeigte Verhalten der Beklagten dafür, dass es ihr in erster Linie auf die Generierung von Aufwendungsersatzansprüchen ankommt, nicht so sehr auf die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte hat schon kurz nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung begonnen, Konkurrenten wegen Verwendung der veralteten Widerrufsbelehrung abzumahnen, eines Wettbewerbsverstoßes, der leicht zu, ermitteln ist und der gerichtsbekannt massenhaft vorgekommen ist, weil nicht alle Online-Händler sofort ihre Widerrufsbelehrung an die neue Gesetzeslage angepasst hatten. Die Beklagte hat sich also ein lukratives Geschäftsfeld gesucht. In diesem Bereich hat sie innerhalb eines Jahres jedenfalls 25 Abmahnungen ausgesprochen. Dies ist zunächst angesichts der Vielzahl geschehener Wettbewerbsverstöße nicht viel. Wenn man aber berücksichtigt, dass es sich bei der Beklagten um eine Kleinunternehmerin handelt, die den Vortrag der Klägerin, dass sie mit ihrem Onlineshop kaum Einnahmen erziele, nicht bestritten hat, und dann hinzu kommt, dass die Beklagte selbst vorträgt, dass sie von einer Klageerhebung gegen die Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen Abstand genommen hat, so lässt dies nur den Schluss zu, dass die Kosten, die durch 25 Abmahnungen entstanden sind und die von der Beklagten zu tragen wären, wenn die Abgemahnten nicht zahlen, in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zu den sonstigen Einnahmen der Beklagten stehen. Dies macht das Vorgehen der Beklagten rechtsmissbräuchlich.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286, 288, 291 BGB. Der Klägerin stehen Zinsen erst ab Rechtshängigkeit des mit der Klageerweiterung geltend gemachten Zahlungsanspruchs zu, denn eine einseitige Fristsetzung erfüllt nicht die Voraussetzungen von § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB (Palandt § 286 Rdnr. 22). Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs war die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 a, 92 Abs. 2 ZPO. Die Beklagte hat auch die Kosten hinsichtlich der für erledigt erklärten Feststellungsanträge zu tragen. Da die Abmahnung rechtsmissbräuchlich war, stand der Beklagten weder der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu noch konnte sie Erstattung der durch die Abmahnung entstandenen Rechtsanwaltskosten verlangen.

Bis zur Verjährung der etwaigen Ansprüche der Beklagten war die Klage daher begründet.
Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Dieckmann                           Diers                          Zybell